20.05.2025
Maximale Risikominimierung
Zum verantwortungsvollen Bauen gehört eine Überprüfung des Untergrunds auf Kampfmittelbelastung – auch im Bereich Netzausbau und Energieversorgung.
Mittels dem qualitätsgeprüften Gutachterverfahren der LBA lässt sich Baugrund schon monatelang vor dem Eingriff auf die potenzielle Gefahr hin untersuchen.
Warum es hierbei vorrangig um Schutz für Mensch und Umwelt geht, erklärt Benedikt Herré im Interview.

Warum sind die Kampfmittel aus dem Zweiten Weltkrieg 80 Jahre nach Kriegsende immer noch ein brisantes Thema?
Benedikt Herré: Von den bis zu 4 Mio. Sprengbomben, die während des Kriegs abgeworfen wurden, schlummern Expertenschätzungen nach immer noch Blindgänger mit einem Gewicht von rund 100.000 Tonnen im Boden. Und Fliegerbomben, vor allem wenn sie mit Langzeitzündern ausgestattet sind, werden mit voranschreitender Korrosion immer gefährlicher. Sie können jederzeit explodieren. Jede Art von Erschütterung wie Ramm- und Rüttelarbeiten oder direkte Berührung etwa durch Baumaschinen kann diese Gefahr nochmal deutlich erhöhen.

Quelle: NARA
Die Bomben stecken ja tief im Boden. Sind die dann bei oberflächennahen Arbeiten überhaupt relevant?
Kampfmittel im Baustellenbereich sind immer sicherheitsrelevant. Man sollte nicht über einem möglichen Blindgänger arbeiten müssen, auch nicht, wenn er vielleicht sechs Meter unter einem liegt. Abgesehen davon gibt es weitere gefährliche Kampfmittel in geringer Tiefe. Dazu gehören Artilleriemunition aber auch Hand- und Panzergranaten oder Patronenmunition aus den Kämpfen am Boden. Auch diese enthalten Explosionsstoffe und sind möglicherweise noch voll funktionsfähig.

Online-Schlagzeilen aus dem Frühjahr 2025
Und wenn in einem Gebiet schon mehrfach gebaut wurde?
Berechtigte Frage, die wir oft hören. Die traurige Wahrheit ist aber, dass die Vorerkundung in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg nicht automatisch durchgeführt wurde. Öfter, als man denkt, tritt die Situation auf, dass über Bomben gebaut wurde. Die Aussage „Hier wurde schon gebaut“ ist keine Garantie, dass der Untergrund kampfmittelfrei ist.
Wie läuft eine Vorerkundung bei der LBA ab?
Für eine Vorerkundung auf Kampfmittelbelastung ziehen wir historische Luftbilder der Alliierten und historische schriftliche Quellen heran. Vieles davon haben wir im eigenen Archiv, und wenn die projektbezogene Recherche weitere Notwendigkeiten anzeigt, beziehen wir Material von externen Facharchiven wie etwa den Nationalarchiven in England und den USA. Unsere Teams „Luftbildauswertung“ und „Historische Recherche“ arbeiten bei ihren Quellenauswertungen Hand in Hand, um abschließend zu einer möglichst genauen Aussage über die Art und die Ausdehnung einer möglichen Belastungssituation zu kommen.

Was ist, wenn das Ergebnis keine Belastung ergibt?
Dann kann ohne weitere Maßnahmen bezüglich Kampfmittel mit der Baumaßnahme begonnen werden.
Und wenn die Vorerkundung eine mögliche Belastung ergeben hat?
Alle unsere Gutachten beinhalten eine Handlungsempfehlung. Bei einem Befund, der auf mögliche im Boden verbliebene Kampfmittel hinweist, sollte im nächsten Schritt eine Vor-Ort-Untersuchung mittels Sondierung beauftragt werden. Das übernehmen die staatlichen Stellen der Bundesländer und Fachfirmen.

Ist das nicht doppelter Aufwand, auch finanziell, wenn im Anschluss ohnehin sondiert werden muss?
Das sieht auf den ersten Blick vielleicht so aus. Aber Sondierungen sind kostenintensiv und sollten deshalb passgenau und maßnahmengerecht auf die zu erwartenden Kampfmittel ausgerichtet sein. Die Vorerkundung ist somit eine Vorarbeit, deren Ergebnis zum einen Befunde lokalisiert, also den zu sondierenden Bereich eingrenzt. Zum anderen benennt sie die Art der Kampfmittel, mit denen zu rechnen ist, so genau wie möglich. Das ist für die Sondierung deshalb sehr wichtig, da für Kampfmittel in geringer Tiefe andere Geräte und Verfahren angewandt werden als für tiefliegende Kampfmittel wie Fliegerbomben. Die Kosten der Sondierung werden somit möglichst gering gehalten.
Gleich alles sondieren zu lassen, ist keine echte Alternative?
Aus unserer Sicht und dem, was uns erfahrene Sondierer berichten, nein. Sie müssen wissen, nach was sie suchen sollen, zum Beispiel Bomben oder Granaten, um möglichst effektiv arbeiten zu können.
Ein anderes Thema ist die Veränderung, die ein zu untersuchendes Gebiet seit dem Zweiten Weltkrieg erfahren hat. Wo im Zweiten Weltkrieg noch Ackerland war, steht heute vielleicht ein Supermarkt mit Parkplatz oder eine Tankstelle. Bauwerke, aber auch Geländeauffüllungen sind starke Störfelder, die, will man belastbare Ergebnisse haben, meist die aufwendigere Tiefensondierung mit Bohrung notwendig machen. Da lohnt es sich es sich auf jeden Fall, mithilfe einer Vorerkundung die mögliche Belastung abzuklären.

Kann vorab eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufgemacht werden?
Pauschal sicherlich nicht, denn es geht um eine unbekannte Gefahrenlage, die es im Hinblick auf Baumaßnahmen einzuschätzen und zu überprüfen gilt. Unsere Vorerkundungen sind ein erprobtes Verfahren, das wir nach den anerkannten Regeln der Technik durchführen und weiterentwickeln. Wir ermitteln für jedes Projekt die Kosten und erstellen ein entsprechendes Festpreisangebot. Alle Vorgänge sind transparent. Unsere Gutachten werden von Planungsbüros, Tiefbauern, Kommunen, aber auch staatlichen Stellen wie dem Kampfmittelbeseitigungsdienst Baden-Württemberg anerkannt.
Was zeichnet Ihre Gutachten aus?
Wir haben unsere Prozesse am Standard der für Bundesliegenschaften verbindlichen Baufachlichen Richtlinien Kampfmittelräumung, kurz BFR KMR, ausgerichtet und kontinuierlich weiterentwickelt. Ein messbares Leistungsmerkmal ist beispielsweise die Anzahl der zur Auswertung herangezogenen Luftbilder. Die Auswahl der Luftbilder sollte möglichst alle Zeitpunkte abdecken, zu denen aus der historischen Recherche Kriegsereignisse bekannt sind. Nur so kommt man zu einem wirklich aussagekräftigen Ergebnis.
Wer profitiert von einer Vorerkundung?
Pauschal gesagt, alle. Zunächst der Grundstückseigentümer, denn er ist rechtlich dafür verantwortlich, sich um die Gefahrenbeseitigung von seinem Grundstück zu kümmern. Dann die Bauplaner, die bei Verdacht auf Kampfmittel frühzeitig vor Baubeginn eine notwendige Sondierung und gegebenenfalls Kampfmittelentsorgung auf den Weg bringen können. Und schließlich die auf einer Baustelle Arbeitenden und alle sich in unmittelbarer Nähe befindenden Menschen. Sie können darauf vertrauen, dass alles getan wurde, eine Störung beziehungsweise Gefahr durch Kampfmittel auszuschließen.
Und was kann passieren, wenn nicht abgeklärt wurde, ob Kampfmittel im Boden sein könnten?
Von alles bis gar nichts. Das wäre vergleichbar dem Fahren ohne Airbag oder Sicherheitsgurt. Es kann gutgehen, aber wenn ein Unfall passiert, kann der Schaden sehr hoch sein. Wenn eine Panzergranate unkontrolliert explodiert, sind enorme Kräfte am Werk. Diese Kampfmittel wurden schließlich zum Zwecke der Zerstörung hergestellt und haben ihre Wirkmöglichkeit nicht verloren. Sach- und Personenschäden treten in der Praxis zwar nicht häufig auf, sind aber im Ernstfall umso verheerender. Deshalb ist für uns – vereinfacht gesagt – die Devise „Augen zu und durch“ keine Option.

Ein Beispiel aus dem Jahr 2024
Es wurde ohne Vorerkundung Glasfaser verlegt. Dabei sind die Arbeiter überraschend auf Panzergranaten gestoßen, was zu einer sehr gefährlichen Situation führte und die Bauarbeiten für längere Zeit stoppte. Hier geht es zum ausführlichen Zeitungsartikel.
Das Interview erschien in überwiegender textlicher Übereinstimmung erstmals in: Cable!Vision Europe 6/2024